An der Klagemauer sieht man nicht nur den Menschen (Für respektiere.at)

Isaac Bashevis Singer schrieb in seinem Werk „The Letter Writer”, dass „alle Menschen zu Nazis werden, wo es um die Tiere geht”. Jana modernisierte dieses Zitat. Sie sagte, dass die meisten Menschen für die sog. landwirtschaftlich gehaltenen Tiere zu Terroristen und Terroristinnen werden und jedes Land und jeder Staat zur terroristischen Organisation. Die Lage ist umso schlimmer, weil der Terror den Tieren gegenüber nur wenigen dieser Menschen bewusst wird. Die sog. landwirtschaftlich gehaltenen Tiere sind die Wesen, die am meisten und am grausamsten misshandelt, gequält und getötet werden. Dabei alles, was mit ihnen geschieht, wird akzeptiert, kaltsinnig angenommen, sogar ironisiert. Die Menschen haben vergessen, dass es um kein schön verpacktes Stück Fleisch mit einer lustigen Beschriftung, um kein Ei oder keinen Halbfettjoghurt geht, sondern um das Leben.

Haben sie einige ihrer Nächsten gewählt, ihre persönliche Freiheit sowie Evolutions-Freiheit, Familie, ihr Zuhause genommen, sie zu Produktionseinheiten reduziert, in Dunkelheit und Beton geschlossen, und ihr gleich bleibendes Schicksal bestimmt, Hinrichtungslinie eines Schlachtbetriebes? In bestimmten Momenten wurde sie fast atemlos, als sie an diese Grausamkeit dachte.

Einmal am Morgen, als sie nicht schlafen konnte und spazieren ging, fuhr ein Wagen an ihr vorbei, der die Tiere zum Schlachthof transportierte. Im ersten Moment wusste sie nicht, was das für ein Auto ist. Sie hielt am Straßenrand an und gewährte ihm Vorfahrt. Erst dann, als der Wagen abbog und die Schweine zu quietschen, zu laufen und Gleichgewicht wieder zu finden anfingen, blieb sie stehen als wäre sie mit Steinen verschüttet. Den Wagen verfolgte sie mit Blicken, bis er verschwand und noch eine lange Zeit danach. Dieser Augenblick wurde zu einem ihrer Lebensbrüche. Er blieb in ihr haften. Und wurde zum Bestandteil ihrer Wahrnehmung. Es war umso lebendiger, weil sie das normale Leben von Schweinen kannte, von ihrer Geburt bis zum durchgeschnittenen Hals. Sie sah sie im kalten Dämmerlicht des Morgens, wie sie, quietschende, mit Gummischläuchen geschlagen werden, wie sie mit Fußtritten und Schimpfwörtern in einen zweistöckigen Wagen getrieben werden, und wie sie völlig verzweifelt übereinander kriechen. Dann fuhr der beladene Wagen an ihr vorbei und ihre Augen blieben an ihm hängen. Was, wenn sie mehr als nur ein Mitleid verlangte? Aber was würde sie erreichen, wenn sie zu schreien oder hinter dem Wagen her zu laufen anfangen würde, um sie zu stoppen, weil das ein Mord ist?

Trotzdem bekam sie das Gefühl nicht los, dass sie es tun sollte.

(Aus meinem unvollendeten Roman (An der Klagemauer sieht man nicht nur den Menschen)

Übersetzung: Lívia O.

RespekTiere.at

Vortrag auf dem Tierrechtskongress Wien 2008

This entry was posted on Sobota, Květen 23rd, 2009 at 20.37 and is filed under texte. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. Responses are currently closed, but you can trackback from your own site.

Comments are closed.